Karsten’s Reisen, Teil I:
REIZVOLLE ZWISCHENSAISON
Ein Besuch bei der Durango & Silverton Narrow Gauge Railroad im beginnenden Frühling
Mein Beruf beschert mir öfters Reisen ins Ausland, darunter regelmäßig in die USA. Wann immer möglich versuche ich, diese Reisen mit Besuchen von eisenbahntechnisch besonders interessanten Orten zu verbinden. Da die Inlandsflüge in USA bei entsprechender Vorausbuchung recht preisgünstig sind, bin ich bei meiner Reiseplanung einigermaßen flexibel in Bezug auf den Ort, dafür aber festgelegt auf die Reisezeit.
Meine jüngste Reise stellte mich dabei vor eine besondere Aufgabe, denn sie lag in einem – wie ich glaubte – sehr ungünstigen Zeitraum, nämlich in der ersten Märzwoche. Die meisten Museumsbahnen in USA führen ihren regulären Betrieb von Memorial Day bis Labor Day durch, also von Mai bis September. Einige der Bahnen fahren innerhalb der Saison nicht nur an den Wochenenden sondern auch regelmäßig an Tagen innerhalb der Woche - manche sogar täglich -, was meinen Besuch deutlich erleichtert, da die Wochenenden zu einem Teil schon mit Hin- bzw. Rückflug belegt sind. Außerhalb der Saison kommen einige Sonderbetriebstage zu besonderen Anlässen wie Nikolaus oder ähnlichen hinzu.
Aber Anfang März?! Was könnte ich zu der Jahreszeit schon besuchen? Eine Recherche im Internet ergab, dass die Durango & Silverton Narrow Gauge Railroad (DSNGRR) das ganze Jahr hindurch Dampfzugfahrten anbietet. Selbst in der Nebensaison fährt ein Dampfzug pro Tag von Mittwoch bis Samstag jede Woche. Das passte doch wunderbar zu meiner Reiseplanung. Ich beschloss, die DSNGRR von Mittwoch bis Freitag zu besuchen, so dass ich am Samstag wieder heim fliegen konnte.
Eine Sorge machte mir noch das zu erwartende Wetter und das im März herrschende Klima in den Bergen Colorados. Im Winter hätte ich mich auf tolle Schneelandschaften und großartige Dampfwolken über der Lok gefreut, im Sommer auf warmen Sonnenschein. Aber im März?! Im Internet waren die durchschnittlichen Temperaturen für Durango im März mit ein paar Grad über Null angegeben. Ich bereitete mich also auf kalte Temperaturen und matschigen Boden vor. Doch ich wurde eines besseren belehrt! Wie die Fotos zeigen, hat diese Zeit zwischen der Winter- und Sommersaison ihren ganz eigenen Reiz und ist nicht minder schön!
Im Winterhalbjahr verkehrt der Zug der DSNGRR nicht auf der ganzen Strecke von Durango nach Silverton sondern macht auf etwa halber Strecke im tiefen Wald bei der „Cascade“-Station halt. Nach einem kleinen Picknick am Ufer des Animas River geht es mit demselben Zug wieder zurück nach Durango. D.h. man muß im Winter leider auf die „Highline“, den spektakulärsten Teil der Strecke, auf welchem die Bahn auf einer sehr schmalen Trasse in großer Höhe dicht an den steilen Felswänden des Canyons entlang fährt, verzichten. Da die Abfahrt von Durango immer um Punkt 12 Uhr mittags erfolgt, trägt der Winterzug den Namen „High Noon Cascade Canyon Winter Train“.
Durango ist nicht nur Heimat der DSNGRR sondern hat auch einen wunderbar erhaltenen historischen Stadtkern eines typischen „Western-Städtchens“. So ist Durango nicht nur Ziel für Eisenbahnfreunde sondern mehr noch Ziel für alle, die einmal in der Zeit zurück reisen möchten und das Flair einer Stadt aus der Epoche der Eroberung des Wilden Westens spüren möchten. Man kann hier in einem historischen Hotel übernachten und gleich neben dem Bahnhof gibt es einen Laden, der handgefertigte Reitsättel verkauft. Man könnte glatt erwarten, dass aus dem nächsten ankommenden Zug Gary Cooper oder John Wayne aussteigen wird – wenn nicht auf den Straßen die Autos heutiger Produktion parken würden.
So ergibt die Stadt einerseits eine wunderbare und epochengerechte Kulisse für die Dampfzüge der DSNGRR und sorgt andererseits mit ihren Touristen für mehr Besucher der Bahnlinie. Dennoch war ich überrascht, wie viele Fahrgäste selbst am Mittwoch und Donnerstag mit dem Zug mitfuhren. Man möge sich einmal eine 85 Tonnen schwere Schlepptender-Dampflok mit 10-12 vierachsigen Personenwagen auf einer deutschen Museumsschmalspurbahn vorstellen, welche jede Woche ohne Transportzweck nur in einen Wald hinein- und wieder zurückfährt – und das auch noch alltags!
Am Freitag erhöhte sich die Zahl der Fahrgäste deutlich, so dass der Zug um einige Verstärkungswagen verlängert werden musste. Dies erforderte viele Rangiermanöver, bei denen die Lok ein paar Wagen oder den ganzen Zug immer wieder aus dem Depot von Durango bis hinter die letzte Weiche der Gleisharfe herausziehen musste, um sie sogleich wieder auf ein anderes Gleis zurück zu drücken. Dies wiederholte sich ungefähr ein Dutzend Male bis der Zug endlich fertig zusammengestellt am Bahnsteig stand.
Da eine Straße in Höhe der letzten Weiche die Gleise kreuzt, musste diese für jede Rangierbewegung von einem Mitarbeiter der Bahn mittels Flagge und Handzeichen für den Autoverkehr gesperrt werden. Zusätzlich musste der Lokführer bei jeder Bewegung permanent die Glocke läuten lassen und mehrmals die Dampfpfeife mit ihrem typisch amerikanischen Klang laut ertönen lassen. Das hautnahe Beobachten dieser fast eine halbe Stunde dauernden Rangiervorgänge war ein ganz besonderer Genuss, den man nur Freitags eine Stunde vor Abfahrt erleben kann, wenn der Zug vom Alltagsbetrieb auf den Bedarf des Wochenendbetriebs verlängert werden muss.
Nach Verlassen des Bahnhofs durchquert der Zug zunächst Durango entlang einer Häuserzeile und überquert den Animas River auf einer Stahlbrücke. Tipp: Diese Brücke eignet sich ausgezeichnet als Fotomotiv, da parallel dazu eine Fußgängerbrücke verläuft. Am Ortsausgang lehnt die Bahnstrecke sich der Hauptstrasse, der Interstate 550, an, der sie die nächsten Meilen folgt. Auf diesem Stück der Strecke kann man sehr gut die sprichwörtliche enorme Weite der Landschaft des mittleren Westens der USA erfahren – im wahrsten Sinne des Wortes, denn man fährt ca. eine halbe Stunde nur flach geradeaus.
Nach passieren der Station Hermosa, welche über einen dieser typischen alten Wassertürme verfügt, verlässt die Strecke die Strasse und beginnt stark anzusteigen. Der Auspuffschlag der Lok wird härter und der Dampfausstoß größer. Was für den Heizer auf der Lok mehr Arbeit bedeutet, bringt dem Eisenbahnfan mehr Genuss. Bei der Station von Rockwood kommt der Zug noch einmal hinter den Büschen hervor, um gleich danach vollends im hohen Dickicht des Waldes zu verschwinden. Schließlich ist die Station Cascade, das Ziel der Fahrt, erreicht. Während der Zug für die Rückfahrt über ein dort vorhandenes Gleisdreieck gewendet wird, haben die Passagiere eine gute Stunde Zeit für ein kleines Picknick. Anschließend geht es auf demselben Weg wieder zurück nach Durango, was gegen 17.00 Uhr erreicht wird.
Abschließend kann ich sagen, dass die DSNGRR auch zu ungewöhnlichen Jahreszeiten zwischen der Hauptsaison im Sommer und der Nebensaison im Winter immer eine Reise Wert ist. Ich hoffe, die Bilder vermitteln einen Eindruck davon.
Die DSNGRR im Internet: hier klicken.
Der Bericht erschien auch in der Volldampf, Nr. 3 / 2004. |